Labas, Man mag sich nun vielleicht wundern, wieso hier gleich zwei Rundbriefe eintrudeln. Die simple Antwort ist, dass es einfach so viel zu erzählen gibt, dass ich leider nicht einfach weglassen kann. Da Sie ja jetzt wissen, was es mit Litauen auf sich hat, können wir jetzt mehr in die Materie eindringen. Ihnen, wie auch mir zu Beginn, stellt sich schließlich wahrscheinlich die Frage: Was mache ich eigentlich in Litauen? Dem wird hierbei etwas auf den Grund gegangen.
Der ewige Sommer
Mit dem August erlebte ich einen sehr entspannten Monat, da ich simpel gesagt erstmal tun und lassen konnte, was ich wollte. Und diese Zeit blieb natürlich nicht ungenutzt. Schon Anfang August kam eine meiner Vorfreiwilligen Judith nach Litauen und führte mich erstmal in „ihr“ Kaunas ein. Zusammen waren wir morgens frühstücken und ich aß zum ersten Mal Varškečai, eine wahre Köstlichkeit. Außerdem habe ich eine ganze Menge über die versteckten Orte und Geheimtipps in Kaunas erfahren dürfen. Zu dieser Zeit habe ich aber auch angefangen Litauisch zu lernen, einmal eine kurze Frage: Wer hat hier alles Latein in der Schule gehabt? Ich habe Latein gehabt und ich würde mal ganz getrost behaupten, dass Litauisch nochmal ein gutes Stück schwerer als Latein ist. So gibt es 4-5 verschiedene Deklinationsformen und ganze 7 Fälle. Hier werden auch Adjektive und eigentlich alles möglich angeglichen, so dass man für jede Vokabel ungefähr 100 verschiedene Formen lernen muss. Bei den Verben verhält es sich leider ähnlich. Damit möchte ich mich jedoch nicht über die Sprache beschweren. Auch wenn es natürlich immer wieder frustrierende Momente gibt, hab ich die litauische Sprache sehr schnell liebgewonnen. Es hat einfach etwas spannendes an sich eine so individuelle und besondere Sprache zu lernen. Die größte Schwierigkeit war es überhaupt einen Sprachkurs zu finden, es ist schließlich einfach so, dass Menschen in Litauen nicht wirklich erwarten, dass andere ihre Sprache lernen möchten. Was auf Grund der Schwere der Sprache natürlich nachvollziehbar ist, aber ich lasse mich von so etwas nicht so schnell einschüchtern. Auch wenn es bisher ein eher holpriger Weg ist, bin ich definitiv weiterhin motiviert, denn diese Sprache ist wirklich einfach richtig schön und hängt fest mit der Kultur und Identität Litauens zusammen und dem will ich wenigstens etwas gerecht werden. Wenn mir dann jedoch erklärt wird, dass ich den Instrumentativ für Straße verwenden muss, wenn ich auf dieser gehe, weil sie ja förmlich zum Gehen verwendet wurde, hinterfrage ich trotzdem kurz meine Entscheidung. Nichtsdestotrotz ist einfach der größte Vorteil ständig von der Sprache umgeben zu sein und jedes Mal, wenn man im Alltag etwas versteht oder lesen kann, das ein richtiges Glücksgefühl in einem auslöst. Aber ich sitze natürlich nicht die ganze Zeit nur in meinem Zimmer und lerne Litauisch. Ich habe nämlich diesen Sommer unfassbar viel Glück, denn es ist seit langem der beste Sommer in Litauen. Den August und September über gab es wochenlang warme Tage mit wolkenklarem Himmel, was man natürlich ausnutzen muss. Regen auf litauisch ist nämlich „lietus“ und Litauen in der Landessprache „Lietuva“, ob es da eine Verbindung gibt, kann ich zwar etymologisch nicht bestätigen, aber Regen ist durchaus das häufigste Wetter hier. Umso besonderer war dieser wunderbar angenehme Sommer. Viele Momente habe ich deshalb draußen verbracht. An einem sonnigen Freitag bin ich mit dem Zug in die Hauptstadt Vilnius gefahren und habe dort Lena, meine andere Vorfreiwillige getroffen und mir eine kleine Stadtführung geben lassen. Vilnius ist trotz einer Entfernung von nur knapp 1,5h ist wirklich ganz anders als Kaunas. Richtig in Worte kann ich selber nicht fassen, jedoch wurde mir mal gesagt, dass Kaunas die „litauischste“ Stadt hier ist und das beschreibt für mich den Unterschied der beiden Städte schon ganz gut. Man erkennt auf jeden Fall, dass Vilnius die Hauptstadt und somit internationaler ist, da der nördlich der Neris liegende Stadtteil von lauter gläsernen Hochhäusern und modern Bauten gesäumt ist, was so direkt im Stadtbild Kaunas‘ nicht wirklich zu finden ist. Vilnius hat es mir auch sehr angetan mit lauter kleinen Gässchen und einer schönen Altstadt und ich werde mir auf jeden Fall noch einmal mehr Zeit nehmen die Stadt zu erkunden. Hier gibt es sogar einen kleinen Bezirk, der förmlich den Künstlern gehört und der sich zur Republik ernannt hat. Gestaltet ist dieser mit eigener Verfassung und allem drum und dran. Wenn man will, kann man dort sogar seinen Reisepass stempeln lassen. Mit den schönen roten Ziegeldächern (die übrigens ein Recht laut der Verfassung sind) und den charmanten Altbauhäusern direkt an dem kleinen Flüsschen Vilnia lassen sich hier alle Sorgen förmlich vergessen. In Vilnius habe ich übrigens auch das erste Mal kepta duona gegessen. Das ist einfach im Ofen in Öl gebackenes dunkles Brot, das mit einer käsigen Soße und Kräutern serviert wird. Gesund? Sicher nicht, aber in Litauen wird einfach verstanden, dass Liebe durch den Magen geht, und man muss sich ja auch irgendwie auf den kalten Winter vorbereiten. Aber mit gutem Essen in Vilnius hört mein Sommer natürlich nicht auf. In Kaunas gibt es ja auch noch viel zu erkunden, zum Beispiel den schönen großen Baggersee, der ganz in der Nähe meiner Wohnung liegt und im Sommer wirklich die perfekte Abkühlung geboten hat. Ob man sich einfach am Strand eine Runde sonnen möchte (und dabei den schlimmsten Sonnenbrand seines Lebens kriegt, wer hätte das bei Litauen erwartet?), eine Runde im kühlen Seewasser schwimmen geht oder mit seinen Freunden etwas Wizard spielt und einfach nur das Wetter genießt, ich hatte ganz viele schönen Erinnerungen an diesen Ufern. Aber umso mehr der Sommer voranschreitet, umso näher rückt auch der beginn des Schuljahres.
Blick über Vilnius
Kepta Duona (hier sind die Portionen riesig)
Nochmal erster Schultag mit 19 Jahren
Mit dem ersten September beginnt in Litauen jedes Jahr aufs Neue das Schuljahr. Aber für Lehrer, Assistenzkräfte und natürlich Freiwillige beginnt das Ganze schon etwas früher. Am letzten Augustwochenende ging es nämlich für mich und die zwei anderen Freiwilligen Yevheniia aus der Ukraine und Anthony aus Frankreich raus aus Kaunas. Gemeinsam mit den anderen Mitarbeiter*innen der Kolping Grundschule und der Kolping Hochschule verbrachten wir zwei Tage in Troškunai, einem Dorf im Nordwesten Litauen nahe der lettischen Grenze. Das Städtchen ist wirklich sehr süß und besonders die Kirche in der Mitte des Dorfes sticht besonders hervor. Hier hängt ein jahrhundertealtes Bild der Jungfrau Maria, das durch einen versteckten Rahmen auch die Zeit unter sowjetischer Besatzung überlebt hat. Mit gutem Essen, langen Abenden und unter viel glücklichem Gelächter wurden wir in die litauische Kolpinggemeinschaft und die wichtigen Gegebenheiten der Grundschule eingeführt. Aber diese Tage, die doch mehr Urlaub waren, endeten schließlich auch und in der nächsten Woche begannen die Vorbereitungen auf die baldigen Kinderscharen so richtig. Von Tagen als Regisseurin, um Vorstellungsvideos zu drehen, hin zu stundenlangem Laminieren von Hundebildern war an diesen Tagen wirklich alles dabei und es hat mächtig Spaß gemacht ein paar Aufgaben zu bekommen. Ich habe auch noch weiter Zeit mit Lena und Judith verbracht und zum Beispiel das „Diplomats for Life“ Museum besucht, dass das Leben von zwei Diplomaten aus den Niederlanden und Japan erzählt, die durch ihre Zusammenarbeit hunderten Jüdinnen und Juden vor der Verfolgung der Nationalsozialisten retten konnten.
Trotzdem brach schneller als gedacht der Morgen des ersten Schultags an. Und schon im Bus wurde mir bewusst, dass dies in Litauen kein normaler Schultag ist. Lauter förmlich gekleidete Familien und Kinder mit riesengroßen Blumensträußen bestaunte ich beim durch-die-Stadt-Wandern. Und nach ein paar finalen Dekorationsfeinheiten strömten auch schon die ersten Kinder zur Kolping Grundschule. Diese sollten mich an diesem Tag jedoch nicht als Rebecca kennenlernen, sondern als Kolping Maus. So begrüßte ich die Kinder an diesem doch sehr warmen Sommertag in einem großen flauschigen und knallorangenem Maus Kostüm. Ein Anblick, den ich ihnen natürlich nicht ersparen möchte (siehe Bild). Und abgesehen von ein paar ängstlichen Kindern (bei einer riesigen Maus auch nachvollziehbar) war der Tag ein voller Erfolg mit viel Musik und lustigen Spielen. Ab diesem Zeitpunkt schien mein Freiwilligendienst jetzt so richtig zu beginnen.
Die Kirche Troškunai von innen
Ich als Kolping Maus
Was halt so in einer Grundschule passiert
In der Schule arbeite ich zusammen mit Anthony und wir haben ganz verschiedene Aufgaben. Da ich sowohl gutes Deutsch (nach 13 Jahren Schule kann ich das hoffentlich so behaupten) und gutes Englisch spreche, waren im Unterricht meine Aufgaben auf diesen beiden Fächer konzentriert. So arbeite ich mehrmals die Woche mit den jeweiligen Lehrer*innen der beiden Fächer zusammen und helfe dabei den Kindern diese beiden Sprachen näherzubringen. Aber da hören meine Aufgaben natürlich nicht auf, sonst wäre ich ja nur 5-mal die Woche beschäftigt. Je nach dem, ob ich morgens oder nachmittags arbeite, unterscheidet sich das Ganze etwas. Bei morgendlichen Schichten fange ich damit an das Frühstück (Pusryčiai) für die Kinder vorzubereiten, das meiste wird zum Glück vorbereitet geliefert, so dass ich nicht morgens meine Kochkünste auspacken muss. Ich kümmere mich dabei darum, dass alle etwas zum Essen bekommen und auch etwas essen. Morgens gibt es meistens Košė, was eine Art Porridge ist und bei dem die Kinder leider manchmal erst überzeugt werden müssen auch etwas zu probieren. Danach wird erstmal aufgeräumt und alle Rückstände, die nach dem Frühstück hinterlassen wurden, werden verschwinden gelassen. Während dem Unterricht sind dann meine Aufgabenbereiche mehr auf organisatorische Dinge fokussiert. Als Freiwillige ist man im Unterricht oft eher eine Ablenkung für die Kinder und man ist dann involviert, wenn die Lehrer*innen einen eben brauchen, aber versucht ansonsten den Schüler*innen auch den Raum zum Lernen zu geben. Währenddessen also bin ich am Ausschneiden, Laminieren, Dekorieren und vieles mehr. Da es aber für die Kinder viele Pausen gibt, wird einem so schnell nicht langweilig. Während den Pausen wird dann erstmal die ganze Energie rausgelassen. Was genau gespielt wird, ist von Woche zu Woche eine neue Überraschung. Bisher war eine Woche lang Zoo spielen sehr beliebt, ich durfte dabei einmal Adler und einmal Zooführer sein, aber auch Familie oder „Kas Atras?“ (ein Schnelligkeit Spiel) sind hoch im Kurs. Sehr zufrieden kann ich sagen, dass auch das Deutschland Memory, dass ich den Kindern mitgebracht habe, mittlerweile wirklich täglich gespielt wird. Aber nicht mal ich kenne alle Sehenswürdigkeiten, die auf den Karten abgebildet sind, man lernt also auch selbst wirklich immer wieder etwas Neues. Auch Bücher werden hier viel gelesen, besonders „Conni und das Eichhörnchen“, ein deutsches Bilderbuch, wird von einem der Kinder ständig eingefordert und es bringt mir große Freude, wie viel Spaß die Schüler und ich zusammen haben. Dann gibt es natürlich irgendwann Mittagessen (Pietūs), was alle Kinder dann immer gemeinsam essen und meistens zu einem lauten, aber schönen Beisammensein wird. Nachdem das Mittagessen dann fertig ist, ist es auch für mich Zeit etwas zu essen. Dafür gehe ich immer in das Bistro, das unter der Schule gelegen ist und ein wirklicher Lieblingsspot der Menschen ist, die in der Innenstadt in Kaunas arbeiten. Es fühlt sich dort an, als würde man bei Oma zu Mittagessen. Damit möchte ich sagen, dass es einfach super lecker ist. Hier kann man übrigens auch jeden Donnerstag Cepeliniai, die besten die ich bisher probiert habe, essen. Falls man also mal in Kaunas ist, was ich wirklich jedem an Herz legen kann, würde ich für's Mittagessen auf jeden Fall mal einen Abstecher hierher machen. Nach dem Mittagessen geht jetzt die Arbeit erst so richtig los, zumindest wenn ich die Nachmittagsschicht ab 11:30 Uhr habe. Die Schüler haben nämlich bis 14.30 Uhr Schule und ab dann ist Nachmittagsbetreuung angesagt. In der Schule können die Kinder bis 18 Uhr bleiben und diese Zeit muss man ja auch irgendwie überbrücken. Deshalb geht es für uns dann erstmal nach draußen, je nach dem, wie das Wetter ist und wie viel getrödelt wurde, gehen wir entweder in den Park, der in der Nähe des Kauno Pilis gelegen ist, oder in den kleinen Schulhof vor der Schule. Hier stehen den Kindern alle möglichen Optionen offen. Und nach einem langen Schultag kann da endlich alle aufgestaute Energie rausgelassen werden. Auf dem Spielplatz gibt es nämlich ein sehr cooles Klettergerüst, das besonders im Sommer die zentrale Attraktion für alle Schüler ist, aber auch Trampoline, Schaukeln und Turnstangen sind sehr beliebt. Ich finde es immer so schön zu sehen mit wie viel Kreativität die Kinder an alles, was sie tun, heran gehen. Jede so simple Sache scheint sich für sie in ein Abenteuer zu verwandeln, was mich immer wieder aufs Neue berührt. Aber nach dem frische Luft Schnappen muss man dann wieder in die Schule, um 16 Uhr gibt es dann nämlich ein frühes Abendessen (Vakarienė). Danach finden manchmal noch AGs für die Kinder statt, aber meistens spielen oder malen wir einfach noch zusammen bis dann nach und nach alle abgeholt werden. Wenn nicht mehr viele Kinder da sind, wird oft eine Runde Verstecken gespielt. Auf Litauisch zählen kann ich nämlich schon. Und obwohl die Schule nicht so groß ist, macht es jedes Mal auf’s neue Spaß, irgendwie findet man halt doch ein neues Versteck. Und damit ist mein Arbeitstag dann auch vorbei. Und auch wenn es vielleicht nicht super spektakulär klingt, machen die kleinen schönen Momente, die immer wieder über den Tag verteilt passieren, die Arbeit so besonders. Dazu gehören z.B. die Karte, die ich von einem der Kinder bekommen habe, anlässlich des Lehrertages, der zur Wertschätzung der Lehrer*innen in Litauen jährlich hier gefeiert wird. Oder auch die winkenden Kinder, die einen aus den Fenstern sehen, wenn man auf die Schule zu geht. Es sind diese Kleinigkeiten, die mich das Ganze so genießen lassen.
Der Flur der Schule herbstlich dekoriert
Bild, das einer der Schüler für mich gemalt hat
Ein paar abschließende Worte
Ohne übertreiben zu wollen habe ich einfach die Zeit meines Lebens und auch wenn natürlich wie immer nicht alles perfekt läuft, kommt das hier sehr nah daran ran. Ich habe so unfassbar viel Spaß an der Arbeit in der Kolping Grundschule, diese Freude der Kinder kann einen einfach nur anstecken. Es ist natürlich eine Form von Arbeit, die viel Energie und Aufmerksamkeit von einem erfordert, aber alles, was man gibt, bekommt man dreifach zurück. Wenn auch nur ein Kind wegen dem, was ich hier mache, ein bisschen glücklicher ist, als es das vorher war, dann war es all die Mühe wert. Und auch von den Lehrer*innen bekommt man ganz viel Dankbarkeit zurück. Ich habe auch wirklich die besten Kolleg*innen auf der Arbeit, denn hier tritt wieder das Phänomen aus dem vorherigen Brief auf: Willkommen. Von Anfang an wurde ich von allen Lehrer*innen hier Willkommen geheißen und bin hier richtig angekommen. Täglich wird so eine Wertschätzung mir gegenüber gezeigt, was einfach richtig richtig schön ist. Ich bin wirklich glücklich in meinem Projekt in Kaunas.
Damit möchte ich auch diesen zweiten Rundbrief abschließen. Ich finde das sind schöne abschließende Botschaften, die man bis zu meinem nächsten Rundbrief Ende Januar im Kopf halten kann. Am wichtigsten an diesem Rundbrief ist mir nämlich meine Dankbarkeit zu zeigen für die schöne Zeit, die ich hier erleben darf. Unter anderem ist der Rundbrief natürlich der Arbeit gewidmet, die ich hier mache. Die Zeit in meinem Projekt nimmt schließlich den Großteil meines Lebens hier in Anspruch und so wollte ich dem Ganzen mit einer doch etwas längeren Ausführung über meinen Alltag gerecht werden. Es passiert hier natürlich viel mehr als sich in ein paar wenigen Seiten abtippen lässt und man überhaupt in Worte fassen kann, aber das Wichtigste lässt sich hier auf jeden Fall nachlesen.
Ich habe natürlich schon Ideen und Themen für meinen nächsten Rundbrief, aber falls es irgendeine Sache gibt, die Sie an Litauen, meiner Arbeit oder meinem Alltag besonders interessiert, lässt sich dies sicher dabei unterbringen.