Ukraine: 1.Rundbrief von Vivienne Eller
Ukraine
Vivienne Eller
13.10.2022
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Nicht mal ein ganzes halbes Jahr

Es ist jetzt schon mehr als ein Jahr vergangen, das ich in die Ukraine, genauer gesagt nach Ivano-Frankivsk ausgereist bin um dort meinen Freiwilligendienst zu verbringen. Aus geplanten 13 Monaten wurden bloß 5,5 Monate und ein sehr überstürzter Abschied, aus wirklich traurigen und schrecklichen Gründen.
In den letzten Monaten haben sicherlich alle, die vielen schrecklichen und erschütternden Nachrichten und Bilder aus der Ukraine gehört und gesehen. Und nun möchte ich gerne ein wenig über meine Zeit dort, über die Menschen, die ich dem halben Jahr kennen und lieben lernen durfte und vor allem über die vielen tollen Erfahrungen die ich gemacht habe, berichten.

Am Anfang möchte ich sagen, dass alle meine Erzählungen nur meine subjektiven Eindrücke sind und sicherlich nicht auf die gesamte Ukraine zutreffen. Die Ukraine ist ein super großes Land von dem ich nur einen winzigen Einblick bekommen habe.

Ankunft und erste Tage in Ivano-Frankivsk

Los ging die Reise am 31.08.2021 nachdem ich mich zwei Tage vorher mit einem kleinen Fest von meinem Freunden und meiner Familie verabschiedet hatte. Nachdem ich morgens gerade noch rechtzeitig meinen Pass mit dem Visum im Briefkasten gefunden hatte, konnte ich mich dann endlich mit großer Vorfreude und natürlich auch ein wenig Aufregung auf den Weg machen.

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In der Innenstadt von Ivano-Frankivsk

Von Würzburg fuhr ich mit dem Zug nach Frankfurt und von dort aus mit dem FlixBus und einem Umstieg in Polen direkt in meine zukünftige Stadt Ivano-Frankivsk. Insgesamt dauerte die Fahrt circa 24 Stunden. Das hört sich erstmal ziemlich lange an, aber da ich über Nacht gefahren bin, ging es wirklich schnell rum. Sobald wir durch die Passkontrolle  und über der Grenze der Ukraine waren, versuchte ich jeden noch so kleinen Eindruck meines zukünftigen Gastlandes aufzuschnappen. Und so sah ich während der Bus über die Landstraße und durch die Dörfer bretterte, die ersten typisch orthodoxen Kirchen, mit ihren silbernen und goldenen Zwiebeldächern, ich sah riesige Felder die unendlich weit schienen, aber auch die vielen kleinen Gärten und Anbauflächen hinter und vor den Häusern, die vielen Hühner und Gänse die auf den Straßen umherliefen, einzelne Kühe auf Fußballfeldern, eine alte Dame die eine Ziege nach Hause führte und ich sah die wunderschön verzierten Bushaltestellen mitten im Nirgendwo und fast immer mit einer ukrainische Flagge. Ein erstes Zeichen des großen Nationalstolzes der Ukrainer.

Am Busbahnhof von Ivano-Frankivsk angekommen, traf ich gleich mal, auf zwei, von mir im Voraus sehr gefürchteten, Straßenhunde. Die jedoch gar nicht gefährlich, sondern im Gegensatz sehr uninteressiert an mir waren. Nur einmal trottete mir ein Hund von meiner Wohnung bis zur Bushaltestelle 10 Minuten hinterher, vermutlich benutzte er mich um durch das Territorium der anderen Hunde durchzukommen. Aber ich glaube, wir genossen einfach beide das Gefühl ein wenig unseren Weg zu teilen.
Nach diesem kleinen Ausflug über die Straßenhunde, zurück zu meiner Ankunft in Ivano-Frankivsk. Am Busbahnhof wurde ich dann von Leonie, meiner Mitfreiwilligen, die schon zwei Wochen vor mir angekommen war, und von meinem zukünftigen Ansprechpartner und Sprachlehre Igor in Empfang genommen. Gemeinsam fuhren wir in Leonies Wohnung, in der ich dann die erste Nacht verbracht.

Am nächsten Morgen, fuhren wir direkt in meine Wohnung, die in Zukunft ein Platzt für regelmäßige Kochabende, Filmnächte und Bastelstunden mit Leonie werden sollte. Meine Wohnung, war direkt gegenüber dem großen Supermarkt in einem der Hochhaus-Häuserblöcke, die von außen stark an alte DDR-Plattenbauten erinnerte. Diese Häuserblöcke gibt es sehr viel in Ivano-Frankivsk, die Häuser bilden ein Quadrat in deren Mitte immer ein Sportplatz, ein Kinderspielplatz, ein paar Parkplätze und oft eine Wiese sind. Das tolle ist, dass dies Wohnblöcke so miteinander verbunden sind, dass man von Wohnblock zu Wohnblock gehen kann ohne die großen Straßen außerhalb zu verwenden. Meine Wohnung war mit vielen Heiligenfiguren und Bilder dekoriert außerdem mit Rosa und Stuck verziert. Sicherlich nicht so wie ich es mir persönlich eingerichtet hätte, aber doch gemütlich. Das Haus, welches vielleicht auf dem ersten Blick, nicht so einladend aussah, war ein Ort des Wohlfühlens und vieler schöner Stunden für mich.
Nach der Wohnungsübergabe, ging es erstmal einkaufen. Also ging es in den großen Supermarkt, und dort war ich wirklich überwältigt, es gab alles zum selber einpacken und wiegen, das Mehl, die tiefgefrorenen Garnelen, die Hähnchenschenkel einfach alles. Man kann es sich vielleicht wie einen großen Unverpacktladen vorstellen, nur dass es nicht um das sparen an Plastikverpackung ging. Da alles natürlich in dünne Plastiktüte eingepackt wurde.

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Der Eingang zu meiner Wohnung

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Die wunderschöne Orthodoxe-Kathedrale von Ivano-Frankivsk

Die nächsten Tage, verbrachte ich dann damit, meine zukünftige Einsatzstelle zu besichtigen und zusammen mit Leonie die Stadt zu erkunden.

Außerdem aß ich zum ersten Mal Borschtsch, das ist das national Gericht der Ukraine, dabei handelt es sich um eine Rotebeetesuppe mit Kartoffeln, Fleischstücken und Smetana (eine Art saure Sahne nur in sehr lecker).

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Das Nationalgericht der Ukraine: Borschtsch

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Die Innenstadt von Lviv

Sprachkurs in Lviv

Und dann fuhren wir auch schon für zwei Wochen nach Lwiw (Lemberg) um uns dort ein wenig mit der Sprache unseres Gastlandes vertraut zu machen, und natürlich auch um ein wenig diese wunderschöne Stadt zu besichtigen. Morgens hatten wir immer drei Stunden Sprachkurs, und danach erhielten wir jeden Tag eine kleine Führung durch die Stadt.

Und so sahen wir viele der Kirchen, Kaffeehäuser, Universitäten und Krankhäuser, außerdem lernten wir ganz nebenbei viel über das Leben in der Ukraine. Ansonsten trafen wir uns noch auf einen Kaffee mit einer Ukrainerin, welche wir am Bahnhof getroffen hatten, besuchten ein wundervolles und beeindruckendes Symphoniekonzert zum 30-jährigen Bestehen der Ukraine und erkundeten mit der Freundesgruppe einer andern Sprachschülerin Lviv bei Nacht und die Bars der Stadt.

Die Suppenküche         

Zurück in Ivano- Frankivsk konnte es dann so richtig mit dem Freiwilligendienst losgehen. Das hieß ursprünglich jeden Montag in die Suppenküche. Doch aufgrund der Coronasituation, waren wir dann oft auch für mehrere Wochen jeden Tag dort. In der Suppenküche arbeiten sowohl Leonie als auch ich. Sie liegt in der Mitte der Stadt gegenüber der großen Kathedrale und versorgt rund 200 bedürftige Personen mit Mittagessen. Die Arbeit war im eigentlich immer dieselbe. Wir schälten. Im Regelfall 4,5 Eimer Kartoffeln, aber später auch Zwiebeln, Knoblauch, Karotten und rote Rüben.

Mit der Zeit wurden wir immer mehr ein fester Bestandteil der Suppenküche, und so wurden uns neben dem Schälen auch andere Aufgaben anvertraut. So wurde uns die schwierige Aufgabe des Brotschneidens anvertraut, mit einer nicht-automatischen Brotschneidemaschine. Auf dem ersten Blick mag das vielleicht sehr lächerlich klingen, aber es war viel schwerer al es aussieht. Es musste ja für jede Person gleich viel Brot sein, und das war gar nicht so einfach.  Ansonsten entgräteten wir Fisch, halfen beim Anbraten von Fleischbällchen, und in der Weihnachtszeit schälen wir stundenlang Nüsse und packten Plätzchentüten. Um ein Uhr kamen dann die Leute und holten sich das Essen ab, aufgrund von Corona konnte das Essen nicht vor Ort verzehrt werden. Das war die stressigste Zeit, wir packten das Essen in Styropor-Kisten und brachten es aus der Küche nach vorne, wo Andre die Boxen an die Leute austeilte. In der Küche arbeiteten abgesehen von uns 4 Personen: Roxana , die wie wir Gemüse schälte und putze (manchmal kam auch ihr Mann und half), Andrew einer der Chefs und Köche, er Teilte das Essen aus und kümmerte sich um Lieferungen,  Roma auch sie kochte und hatte in vielen Dinge das Sagen, jedoch war sie am Anfang ca.3 Monate  krank, deswegen war Nadia da, die beim Kochen half und für mich ein wenig wie eine Mutter wurde, sie arbeitete eigentlich bei der Caritas, weshalb ich sie später trotzdem immer auf der Arbeit sah. Und der der Chef Odez Roman, er ist ein Priester der bei der Caritas arbeitet und für die Suppenküche zuständig war. Er kam einmal am Tag vorbei um nach dem Rechten zu schauen und sein Büro war im Anschluss an die Küche. Die Suppenküche war für mich mein Lieblingsarbeitsort, auch wenn die Arbeit manchmal ein wenig eintönig war. Jeden Morgen wurden wir mit einer warmen Umarmung begrüßt, wir sangen gemeinsam Lieder und lachten viel, es war wie eine Art Heimat bzw. Ruheort für mich.

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Leonie (Mitfreiwillige), Nadia meine Kollegin und ich in der Suppenküche

Malteseraktionen   

Die Suppenküche liegt genau neben dem Malteserbüro, welches die Einsatzstelle von Leonie war. Wann immer größere Aktionen dort stattfanden war ich mit von Partie. Und so fuhren wir, eine Woche nachdem wir aus Lviv gekommen waren, gleich wieder los. Und zwar zu einem Wallfahrtsort, einem Kloster in den Bergen. Mitten in der Nacht kamen wir dort an und fingen erstmal an die großen Malteserzelte aufzubauen und die Autos auszuladen. Oben auf dem Berg war es sehr windig und kalt, und obwohl wir extra warm eingepackt waren, fingen wir zum Glück bald mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag an. Und zwar kochen und schälen. Und durch die vielen Menschen im Zelt der Feldküche wurde es bald ein wenig wärmer. Kurz nach Mitternacht gab es dann endlich „Abendessen“, danach wurden Leonie und ich ins Bett geschickt. Der Chef der Malteser, Roman, meinte nämlich sowas wie:“ Für euch Freiwillige ist alles neun und fremd. Alle sprechen eine andere Sprache und deswegen braucht ihr mehr Essen und auch mehr Schlaf.“ Und dem hatten wir nichts entgegenzusetzten und gingen deswegen auch gleich erschöpft schlafen.

Am nächsten Tag ging es wieder früh weiter. Es wurden die letzten Vorbereitungen getroffen und dann trafen auch die ersten Wallfahrenden ein, die von uns mit Essen versorgt wurden. Als der Ansturm nachließ nutzen Leonie und ich noch ein wenig die Zeit die Kirche und das Klostergelände anzuschauen und dann packten wir auch schon wieder alles ein und fuhren zurück. Und am nächsten Tag war dann mein Geburtstag. Mittags traf ich mich mit Leonie und feierte ein wenig mit Kuchen und selbstgemachten Sushi. Und dann bekamen wir einen Anruf, es gäbe noch mehr Aufgaben mit den Maltesern und wir müssten beide kommen um zu helfen. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Malteser eine kleine Geburtstagsfeier mit Kuchen, Gesang und vielen leckeren Essen vorbereitet hatten. Das war wirklich eine super tolle Überraschung.
Die größte und wahrscheinlich auch aufwendigste Aktion der Malteser war aber sicherlich die Nikolausaktion. Man kann es sich ein wenig wie die sehr bekannte „Weihnachten im Schuhkarton“-Aktion vorstellen. Es ist jedoch um einiges persönlicher und direkter.

Die Kinder schreiben nämlich Wunschzettel. Einen Monat vor Nikolaus kommen dann viele Leute und suchen sich ein Kind aus und packen zu den Wünschen und Bedürfnissen ein großes Geschenk. Während sich die Lagerhallen mit den Geschenken füllten, sammelten wir mit der Malteserjugend Sach- und Geldspenden und packten mehr als tausend Süßigkeitstüten, die jedes Kind zu seinem Geschenk bekam. Am letzten Tag wurden auch noch Obstkisten für die Kinder vorbereitet und dann ging es los zum besten Teil der Aktion dem Verteilen der Geschenke. Es gab immer eine kleine Aufführung durch den Nikolaus und seien Gehilfen und dann wurde jedes Kind einzeln aufgerufen und erhielt nachdem es ein Gedicht aufgesagt oder etwas gesungen hatte sein Geschenk. Die strahlenden Kinderaugen und die Freude über die Geschenke waren überwältigend und sehr beeindruckend.

Roman, der Chef der Malteser und ich bei der Aktion auf dem Kloster

Die Nikolausaktion

Meine Einsatzstelle in der Caritas             

Meine eigentlichen Arbeiten waren jedoch bei der Caritas. Am Anfang arbeitet ich dort hauptsächlich mit erwachsen Menschen mit Beeinträchtigungen in einer Art Werkstatt. Dabei handelte es sich aber mehr um eine Art Betreuung. Gemeinsam bastelten wir Ketten, Kreuzfiguren, arbeiteten mit Holz und kümmerten uns um die Pflanzen im Gewächshaus.

Die hergestellten Kunstwerke wurden anschließen auf kleinen Märkten verkauft. Jeder brachte sich mit seinen Stärken und Interessen ein. Dienstag war außerdem immer Sporttag, das hieß meistens Fußballspielen, was für große Begeisterung und rege Teilnahme sorgte. Ansonsten wurden noch alltägliche Aufgaben eingeübt wie z.B. Betten beziehen oder das Geschirr abwaschen. Außerdem half ich bei der Betreuung der Kinder mit, wir lernte gemeinsam ein wenig Englisch, machten Sport und manchmal wurde auch gebacken und gekocht. Gemeinsam feierten wir natürlich auch die wichtigen Feste wie Nikolaustag und Weihnachten.

Leider mussten wir ja dann am 14. Februar ganz überstützt das Land verlasse. Gerade erst hatten wir Weihnachten mit Nadia meiner Kollegin gefeiert, ich hatte angefangen auch ein wenig bei der Palliativhilfe mit zuarbeite, der erste Besuch aus Deutschland stand vor der Tür und das Zwischenseminar rückte auch näher. Und ich verließ das Land um in Sicherheit zu sein, während die Menschen, mit denen ich das letzte halbe Jahr arbeiten und lachen durfte, die Menschen die sich so liebevoll um mich gekümmert hatten und mich zu ihren Familien eingeladen hatten um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder, Freunde, Familien und Kollegen bannen mussten. Die Kinder, mit denen ich gespielt hatte und den Weihnachtsbaum geschmückt hatte, wachsen nun in einem Land auf in dem Krieg ist und das zerstört wird. Wir können uns gar nicht vorstellen wie viel Leid und Schmerz das sein muss.

Fotoshooting bei der Arbeit im Gewächshaus

Ein letztes Treffen mit Igor unserem Sprachlehrer und meiner Vorgesetzten in der Caritas

Und jetzt wo ich in Bolivien bin, wird mir doch immer wieder bewusst, wie sehr mich doch die Menschen und Erlebnisse die ich in der Ukraine machen durfte geprägt haben.  Deshalb war es mir sehr wichtig, auch wenn es jetzt schon etwas länger her ist, dass ich aus der Ukraine zurück bin, von den Menschen und meinem Leben in Ivano-Frankivsk zu berichten. Und vor allem in einer Zeit wo wir doch so oft, von den Gräueltaten des Krieges der in der Ukraine herrscht hören, auch mal etwas Schönes über dieses wunderbare und vielfältige Land mit seinen so herzlichen und guten Menschen zu erzählen.

Ich sende ganz liebe Grüße, in Hoffnung auf baldige Frieden.

Vivi