Brasilien: 1. Rundbrief von Anni Kaufmann
Brasilien
Anni Kaufmann
19.01.2023
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Liebe Freundinnen und Freunde,

jetzt bin ich schon eine ganze Weile in Brasilien und kann selbst noch kaum glauben, dass schon mehr als zwei Monate vorbei sind. Vom Flughafen in Fortaleza bin ich nach zehnstündiger Busfahrt in meiner neuen Heimatstadt Pedro II (sprich: Pedro Segundo) angekommen.

Pedro II liegt im Nordosten Brasiliens in der semiariden, also halbtrockenen Zone. Die Kleinstadt ist sehr ländlich geprägt, hat aber mehr zu bieten als ich im Vorfeld dachte. Knapp 40.000 Einwohner zählt Pedro II mit seinen dazugehörigen umliegenden Gemeinden / Dörfern. Zahlreiche Geschäfte, Märkte und Restaurants säumen die Hauptstraße der Stadt.

Ich wohne in einer Frauen-WG, zusammen mit Maria, einer pensionierten Deutschen, die vor circa 40 Jahren nach Pedro II gekommen ist, sowie Lúcia, die mittlerweile ebenfalls pensioniert ist, zuvor aber jahrelang im Kindergarten des Projektes gearbeitet hat. In dem gemeinsamen Haus habe ich ein Zimmer mit direktem Zugang zu dem großen Garten mit Hängematte, Gemüsegarten und Waschküche. Direkt nebenan wohnt Marlene, das Adoptivkind von Maria und Lúcia mit ihrem Ehemann Devan und ihren zwei Kindern Filipe (16) und Thomas (4). Wir sind sozusagen eine große Familie, essen täglich gemeinsam zu Mittag, machen am Wochenende zusammen Ausflüge, und ich fahre als treuer Fußball-Fan regelmäßig die Spiele von Phillipe und Devan schauen.

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Ausflug zum Strand in Parnaíba mit meiner Gastfamilie

Direkt neben dem Haus ist das Hauptgebäude des Bildungszentrums Mandacaru. Mandacaru ist die Organisation, in der ich dieses Jahr arbeite. Das Bildungszentrum ist in vier verschiedene Bereiche unterteilt: den Kindergarten Asa Branca, die Ökoschule Thomas a Kempis, die Bibelarbeit, die vor allem die soziale und pastorale Arbeit in der Pfarrei unterstützt, und der Sektor der Familienlandwirtschaft, der sich auf die Unterstützung landwirtschaftlicher Projekte von Landarbeiter-Familien aus dem Interior konzentriert.

In meinen ersten Monaten war ich viel im Kindergarten. Der Kindergarten befindet sich in einem ärmeren Stadtviertel von Pedro II und hat neun Kindergartengruppen. Fünf Gruppen mit je ca. 15 Kindern haben morgens die Möglichkeit, die Kita zu besuchen, und die restlichen vier Gruppen haben nachmittags „Unterricht“, wie man hier sagt. Die drei- bis sechsjährigen Kinder lernen schon früh die ersten Buchstaben und Zahlen, aber natürlich darf das Spielen auch nicht zu kurz kommen. Eine weitere Besonderheit aller Kindergärten und Schulen in Brasilien sind die zwei täglichen Merendas. Merendas sind Zwischenmahlzeiten vormittags und nachmittags. Dort bekommen die Kinder frisch zubereitete Snacks, wie zum Beispiel Brot, Früchte, Kuchen oder aus der Maniokwurzel hergestellte Fladen. Zusätzlich gibt es dazu dann Kakao oder Säfte. Außerdem hatte ich bereits die Möglichkeit, bei einem Fest im Kindergarten teilzunehmen. Am „Tag des Kindes“, der hier ein landesweiter Feiertag ist, wurde die Kita in eine Phantasiewelt verwandelt. Mit Superhelden- oder Prinzessinnen-Kostümen verkleidet, gab es verschiedene Spiele und die Kinder haben kleine Geschenke bekommen.

Wenn ich nicht im Kindergarten war, habe ich in der Regel Einblicke in die Ökoschule bekommen. Gleich in den ersten Wochen nach meiner Ankunft wurden dort drei größere Feste gefeiert: die Literaturtage, wo Schriftsteller aus Pedro II und dem Bundesstaat Piauí Vorträge gehalten haben, das Ökofamilen-Fest, wo die Familien der Schülerinnen und Schüler eingeladen sind und zusammen kommen, und ein mehrtägiges Sportevent, bei dem die Klassen in unterschiedlichen Disziplinen, aber vor allem im Fußball, der hier sehr beliebt ist, gegeneinander angetreten sind. Eine Besonderheit der Schule ist die enge Verbundenheit zur Landwirtschaft. Neben den vorgeschriebenen Lernfächern werden dort auch praktische Kenntnisse und Fertigkeiten im Gartenbau und in der Viehhaltung vermittelt, denn die Schule besitzt einen großen Gemüsegarten, einen Medizingarten, Hühner, Schweine und Ziegen. Ziel ist es, zu lernen, wie man in der Halbtrockenzone des brasilianischen Nordostens seinen Lebensstandard verbessern und einen größeren landwirtschaftlichen Ertrag erzielen kann. Vor allem Kinder aus Landarbeiterfamilien der umliegenden Gemeinden haben die Chance auf einen Platz in der Ganztagsschule. Mit der Zeit kann ich auch in der Schule immer mehr Aufgaben übernehmen. Morgens in den ersten zwei Unterrichtsstunden helfe ich häufig im Garten. Auch in der Küche, die täglich zwei Zwischenmahlzeiten und das Mittagessen für die ca. 170 Kinder zubereitet, habe ich schon das eine oder andere Mal helfen können. Zusätzlich leite ich einmal wöchentlich einen Workshop, der sich mit dem interkulturellen Austausch auseinandersetzt. Dazu haben wir Kontakt mit einer deutschen Schule aufgenommen. Auch in die Arbeit der Familienlandwirtschaft habe ich schon erste Einblicke bekommen. So bin ich einmal mit Dejavan und Claudete, die beide bei Mandacaru im Bereich der Landwirtschaft arbeiten, ins Interior gefahren und habe bei dem Bau eines beschatteten Gemüsegartens für eine Familie geholfen. Ein anderes Mal war ich mit Adeodata, Francineth und Wellington auf einem kirchlichen Fest in einer kleinen Gemeinde. Sie sind vor allem für die Bibelarbeit und den Kontakt mit den Gemeinden zuständig.

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Bau eines beschatteten Gartens für eine Landarbeiterfamilie

Was mir noch ein wenig Schwierigkeiten bereitet, sind die Sprachhindernisse. Zweimal wöchentlich bekomme ich von Monica, einer Englischlehrerin, Portugiesisch-Unterricht. Ich merke jedoch, wie es mir immer leichter fällt, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Im Oktober fanden hier die Bundes-, Landes- und Präsidentschaftswahlen statt. Zahlreiche politische Veranstaltungen und Kundgebungen gab schon in den Monaten zuvor immer wieder auf den Plätzen der Stadt. Pedro II ist politisch sehr aktiv und ich wurde des Öfteren gefragt, für welchen Präsidenten ich stimmen würde, da die Wahlen für viele in meinem Umfeld ein sehr wichtiges Thema waren.

Anfang Oktober bekamen wir schließlich noch Besuch von Denise und ihrem Ehemann. Denise war vor knapp 40 Jahren an meiner Stelle und machte ein einjähriges Praktikum in Pedro II. Noch immer hat sie sehr engen Kontakt zu den Menschen hier, die sie damals begleitet haben. Gemeinsam mit den beiden machten wir ein Wochenende Urlaub am Strand von Parnaíba. Das war super. Ich fande es sehr schön zu sehen, wie Denise, aber auch Guido ein fester Bestandteil der Mandacaru-Familie sind und was für ein enges und herzliches Verhältnis die beiden trotz der Entfernung zu ihren Freunden hier in Brasilien haben.

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Ich an einem in der Nähe liegendem Aussichtspunkt

Gemeinsames Abendessen mit Mitarbeitern von Mandacaru

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