Brasilien: 2. Rundbrief von Hannah Brill
Brasilien
Hannah Brill
04.07.2024
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Hallo liebe Leser/in

es freut mich, dass du hier bist und dir die Zeit nimmst, meinen zweiten Bericht über meinen Freiwilligendienst im Nordosten Brasiliens zu lesen. Die Anfangszeit, in der alles so neu und aufregend, aber auch manchmal überwältigend war, ist nun vorbei. Ich habe mich in meinem Projekt und in der Stadt eingelebt, viele Menschen kennengelernt und die Sprache gelernt – zwar noch nicht perfekt, aber gut genug um auch Gespräche die über Smalltalk hinaus gehen zu führen und Freundschaften aufzubauen. Darauf bin ich besonders stolz, da Fremdsprachen lernen noch nie zu meinen Talenten gehört hat. Doch neben der Sprache habe ich noch viele andere Dinge gelernt und erlebt, von denen ich dir gerne berichten möchte.

Projekt:

Obwohl die Schülerinnen und Schüler der Ecoescola Thomas a Kempis von Mitte Dezember bis Anfang Februar Schulferien hatten, war das Leben an der Schule keineswegs zum Stillstand gekommen. Die Tiere und Pflanzen mussten weiterhin versorgt, Reparaturarbeiten erledigt und in der Küche gekocht sowie Vorbereitungen getroffen werden. Die Räumlichkeiten der Schule wurden zudem regelmäßig für verschiedene Seminare genutzt. Diese Zeit war besonders, da ich die Angestellten noch besser und in Ruhe kennenlernen konnte, ohne den üblichen Schulbetrieb. In einer Teambesprechung mit dem Vorstand von Mandacaru haben wir beschlossen, dass Teresa und ich ab dem neuen Schuljahr ganztägig an der Schule eingesetzt werden, da dort mehr Unterstützung benötigt wird. Mein Alltag hier sieht derzeit wie folgt aus: In den ersten beiden Schulstunden sowie der letzten Schulstunde kümmere ich mich zusammen mit Dani und den jeweiligen Schüler:innen, die an diesem Tag für die praktische Landwirtschaftsstunde eingeteilt sind, um die Hühner und Schweine. Der Schweinestall wird täglich gekehrt und geschrubbt, im Hühnerstall werden die Trinkeimer gereinigt und aufgefüllt, die Eier eingesammelt (50-100 täglich) und das Futter verteilt. Alle zwei Wochen wird zudem der Hühnerstall ausgemistet und neues Futter hergestellt. In der Mittagspause bieten wir den Schülerinnen und Schülern, die Interesse haben, verschiedene Brettspiele an, und nachmittags hat jede Klasse an einem anderen Tag Putzdienst, den wir ebenfalls unterstützen. In den Stunden dazwischen gibt es keinen festen Plan für mich, da kommt es darauf an, was gerade anfällt. Letzten Freitag gab es zum Beispiel ein Familienfest, für das einige Vorbereitungen anfielen, bei denen ich helfen konnte. Das Fest war wirklich toll. Alle waren schick gekleidet, es gab verschiedene Aufführungen der Schüler:innen, Verlosungen, eine Musikgruppe, gutes Essen, einen Getränkeverkauf und kleine Kuchen für die Mütter, da in der vorherigen Woche Muttertag war.

Einige Wochen zuvor sind wir gemeinsam mit zwei Lehrern und Schüler:innen zu den Bienenstöcken gefahren, die ein Projekt der Schule sind. Dort waren wir in den vergangenen Monaten schon ein paar Mal, aber dieses Mal haben wir das erste Mal gemeinsam Honig geerntet, was trotz meiner kleinen Angst vor Bienen ein wirklich interessantes Erlebnis war. Neben der Schule betreibt Mandacaru auch Unterstützung für landwirtschaftliche Familienbetriebe. Hin und wieder haben wir im Rahmen dessen beim Aufbau von Zisternen geholfen. Wir durften den Maurern helfen, Löcher auszugraben, Zement zu mischen, aus dem einzelne Bauteile gegossen wurden, und haben beim Aufbau der Bauteile zugesehen. Ein anderes Projekt, bei dem ich helfen durfte, war der Aufbau eines Schatten- und Bewässerungssystems für Gemüsegärten. Dejavan, ein Mitarbeiter von Mandacaru, hat mich dafür mit nach Coitada, eine Gemeinde im Interior von Pedro II genommen. Dort übernachteten wir auch bei der Familie, bei der wir, gemeinsam mit den Familienmitgliedern, die Anlage aufbauten. Die Familie war unglaublich herzlich, und die gemeinsame Zeit war wirklich witzig und schön. Jedes Mal, wenn wir uns zufällig in der Stadt begegnen, freue ich mich, und natürlich sind wir auch auf Instagram befreundet.

Kurz nachdem wir ankamen und noch einen Kaffee getrunken haben ging es auch schon an die Arbeit. Zunächst werden mit einem Lochspaten Löcher um die Beete herum gegraben, in die später schmale Baumstämme mit jeweils zwei Holzstücken verkeilt werden. Zwischen den Baumstämmen spannen wir Stacheldraht, an dem daraufhin ein Schattiernetz befestigt wird. Am nächsten Tag werden an den Pfeilern und dem Draht Wasserschläuche verlegt, mit denen man die Pflanzen mit Sprühnebel bewässern kann.

Natur:

Pedro II liegt im Nordosten Brasiliens, genauer gesagt im Bundesstaat Piauí. Diese Region ist durch ein semi-arides Klima geprägt, was bedeutet, dass es eine ausgeprägte Trockenzeit und eine Regenzeit gibt. Die Trockenzeit erstreckt sich normalerweise von etwa Mai bis Oktober, wobei die Monate Juli bis September oft die trockensten sind. In dieser Zeit können die Temperaturen sehr hoch sein.

Hinsichtlich der Vegetation wird die Region typischerweise von Caatinga dominiert, einem speziellen Biom Brasiliens. Caatinga ist eine trockenheitsresistente Vegetation, die aus dornigen Sträuchern, kleinen Bäumen und Kakteen besteht. Die Pflanzen haben sich an die extremen Bedingungen des semi-ariden Klimas angepasst, indem sie Wasser effizient nutzen oder speichern. Zu Beginn meines Freiwilligendienstes Mitte August war die Natur trocken und bräunlich-grün. Mitte Januar begann es dann hin und wieder zu regnen, und im März und April gab es fast täglich einen bis mehrere Regenschauer, meistens am Nachmittag und Abend. Innerhalb weniger Wochen hat sich die Natur verwandelt und strahlt jetzt in einem satten Grün. In den letzten zwei bis drei Wochen hat der Regen jedoch zunehmend nachgelassen, und die Temperaturen werden wieder heißer.

Eine Sache, die ich hier ganz besonders liebe, sind die Früchte, die an den Bäumen wachsen. Statt Äpfel und Kirschen gibt es Guaven, Acerolas, Papayas, Mangos, Maracujas und Kokosnüsse (auch wenn sie kein Obst sind, dürfen sie in meiner Aufzählung nicht fehlen). Fast täglich wird daraus frischer Saft hergestellt, den es zum Mittagessen oder zur Mirenda (einer Nachmittagspause mit etwas Kleinem zu Essen und Kaffee) gibt. Aber nicht nur die Flora und Fauna sind beeindruckend, sondern auch die Tierwelt. Regelmäßig kann man Kolibris beobachten, kleine Geckos und Eidechsen, und ein paar wenige Male habe ich sogar kleine Weißbüscheläffchen in den Bäumen klettern sehen. Weniger schön fand ich hingegen die drei Begegnungen mit Vogelspinnen.

Zwischenseminar:

Nach 6 Monaten Freiwilligendienst war es Zeit für unser Zwischenseminar. Dieses fand Ende Februar in Santa Cruz de la Sierra, Bolivien, statt. Da meine Mitfreiwillige Teresa einen Tag vor Seminarstart Geburtstag hatte, reisten wir und die Freiwilligen aus Bolivien bereits vorher an, um diesen gemeinsam zu feiern. Es war wirklich schön, so viele von den Leuten wiederzusehen, die im Laufe der Vorbereitungsseminare zu Freunden und Vertrauten geworden sind. Das einwöchige Seminar mit Kubekom (Kulturbewusste Kommunikation) bot einen Rahmen, in dem wir uns über unsere positiven und negativen Erfahrungen austauschen konnten, Erlebtes reflektieren und gemeinsam Lösungsansätze für jegliche Art von Problemen erarbeiten konnten. Zudem war die Reise nach Bolivien super spannend, da Santa Cruz de la Sierra eine Großstadt ist, was natürlich ein enormer Unterschied zu der Kleinstadt Pedro II ist und eine schöne Abwechslung geboten hat. Außerdem hatte ich dort die Möglichkeit einige der landestypischen Speisen zu probieren und durch die Erzählungen der Freiwilligen in Bolivien etwas über die dortige Kultur zu erfahren.

Freizeit:

Mitte Januar feierte meine Gastmutter ihren 80. Geburtstag. Viele Menschen kamen vorbei, brachten leckeren Kuchen mit und wir genossen gemeinsam Kaffee und Gebäck. Einen Tag später brachen wir mit unserer Gastfamilie nach Louís Correia auf, wo wir drei herrliche Tage am Strand verbrachten. Jeden Morgen starteten wir mit einem erfrischenden Bad im Meer, schlürften frische Kokosnüsse in den Strandhütten und genossen die wunderschönen Tage zusammen. Ein weiteres Highlight folgte im März, als meine Eltern, meine Schwester und ihr Freund mich in Brasilien besuchten. Nach einer 24-stündigen Busreise erreichte ich Salvador da Bahia, wo ich meine Familie am Flughafen herzlich empfing. Nach über einem halben Jahr war es unbeschreiblich schön, sie wieder in den Arm nehmen zu können und gemeinsam Zeit zu verbringen. Salvador, einst die Hauptstadt Brasiliens, ist von afro-brasilianischen Einflüssen geprägt, die sich in der Musik, dem Tanz und der Küche widerspiegeln. Nach etwas über einer Woche dort machten wir uns gemeinsam auf den Weg nach Pedro II, um ihnen auch mein Leben dort zu zeigen. Diese Zeit gemeinsam war einfach unvergesslich, und ein Teil von mir hätte am liebsten mit ihnen die Heimreise nach Deutschland angetreten. Doch zugleich weiß ich bereits jetzt, dass auch ein anderer Teil von mir, wenn ich im August nach Hause zurückkehre, Brasilien beziehungsweise die Menschen und die Lebensweisen, die ich hier kennen und lieben gelernt habe, nur ungern verlassen möchte.