Bolivien: 1. Rundbrief von Katharina Predikant
Bolivien
Katharina Predikant
12.03.2025
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Liebe Leserinnen und Leser, mein Name ist Katharina Predikant, ich bin 20 Jahre alt und bin aktuell als Freiwillige für ein Jahr in Bolivien. Ich wohne in der Kleinstadt Patacamaya und arbeite dort im Comedor CAPI, einer Art Mittagsbetreuung für Kinder und Jugendliche.

Mittlerweile sind jetzt schon mehr als drei Monate meines Freiwilligendienstes vergangen, und in dieser Zeit ist unglaublich viel passiert. Es war eine Zeit voller neuer Eindrücke, Erfahrungen und Begegnungen. Auch wenn es unglaublich schwierig ist, das alles in einen Rundbrief zu fassen, will ich versuchen, einen kleinen Einblick in meine Zeit hier zu geben.

Ankommen

Beginnen wir ganz am Anfang. Der Start meiner Reise war am 8. August am Frankfurter Flughafen. Zusammen mit den anderen fünf Freiwilligen meiner Organisation SoFiA, die auch ihren Freiwilligendienst in Bolivien machen, bin ich zunächst nach Buenos Aires und von dort aus nach Santa Cruz geflogen, wo wir das erste Mal bolivianischen Boden unter den Füßen hatten. Leider hatten wir nur den Abend und den nächsten Vormittag Zeit, um uns Santa Cruz anzuschauen, da die Reise dann schon wieder weiter ging und wir für drei Tage nach Trinidad zu unserem Anfangsseminar geflogen sind.

Diese ersten drei Tage waren Tage voller neuer Eindrücke und ein ganz besonderer Start in mein Jahr. Direkt bei unserer Ankunft am Flughafen in Trinidad wurden wir von einer großen Gruppe mit vielen Kindern aus dem Projekt einer der Freiwilligen empfangen. Wir wurden herzlich begrüßt, und ein paar der Kinder haben sogar einen Tanz aus der Region für uns aufgeführt.

Die darauffolgenden Tage konnten wir Trinidad ein bisschen besser kennenlernen, wir haben den Bischof und die Gruppe der Hermandad aus Trinidad getroffen und haben gemeinsam einige Ausflüge unternommen. An einem Tag ging es für uns in das Naturreservart „Chuchini“, wo wir eine Bootstour über die Lagune gemacht haben und durch den Dschungel gelaufen sind. Dabei konnten wir viele Tiere wie Schildkröten, einen Alligator, Affen und viele besondere Vogelarten sehen und haben einige interessante Fakten zu der Entstehung dieses Gebietes erzählt bekommen. Am nächsten Tag sind wir auf eine Farm gefahren, wo wir selbst Kühe melken, frische Milch probieren und reiten durften und haben am Mittag in einer Suppenküche in Trinidad geholfen. Außerdem haben wir auch weitere Informationen zu unseren Projekten und zu den kommenden Wochen erhalten. Für mich waren diese drei Tage total beeindruckend und aufregend, alles war noch ganz neu. Ich war froh, all das zusammen mit den anderen Freiwilligen zu erleben und mich direkt mit ihnen austauschen zu können.

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Die Kathedrale von Santa Cruz de la Sierra, die wir direkt an unserem ersten Tag in Bolivien gesehen haben)

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In unseren ersten Tagen in Trinidad haben meine Mitfreiwilligen und ich mit unserem Koordinator (links) und meiner Vorfreiwilligen Ronja einen Ausflug auf einen Bauernhof gemacht

Patacamaya

Ja, und dann ging es für mich auch schon gemeinsam mit meiner Vorfreiwilligen Ronja mit dem Reisebus nach Patacamaya, wo ich den Rest des Jahres leben werde.

Patacamaya ist eine Kleinstadt im Departamento La Paz, welche zwischen den Städten La Paz und Oruro liegt. Sie ist Teil der Prälatur Coro Coro und liegt auf einer Höhe von etwa 3800 Metern.

Das Erste, was mir auf der Fahrt aufgefallen ist, ist dass die Vegetation und das Klima in Trinidad und Patacamaya unterschiedlicher nicht hätte sein können, was bei den unterschiedlichen Höhenlagen aber nicht verwunderlich ist. Während wir in Trinidad mit T-Shirt und Stoffhose herumgelaufen sind und es überall grün war, habe ich in Patacamaya schnell den Pulli und meine Jacke ausgepackt. Auch die Vegetation ist ganz anders. Es gibt einige Bäume und Büsche, aber am stärksten verbreitet ist das Ichugras, welches die ganze Landschaft sehr braun wirken lässt. Und ja, auch wenn die Beschreibung braun jetzt vielleicht nicht so berauschend klingt, darf man sich davon bitte nicht täuschen lassen. Ich finde die Natur/Umgebung hier total schön und vor allem das Bergpanorama, das mir hier geboten wird, ist wundervoll.

Nochmal kurz zurück zum Wetter. Grundsätzlich ist es hier eher kalt, vor allem wenn der Wind durch die Straßen bläst. Doch die Sonne sollte man deshalb nicht unterschätzen. Meistens haben wir einen strahlend blauen Himmel, und wenn die Sonne richtig scheint, kann man theoretisch auch gut im T-Shirt unterwegs sein. In der Praxis versuche ich das aber meistens zu vermeiden, weil die Sonne auf dieser Höhe extrem stark ist. Sonnencreme und Kappe sind für mich Pflicht, wenn ich keinen Sonnenbrand bekommen will, und auch die meisten anderen laufen mit Kappe oder Sonnenhut herum. Teilweise tragen die Leute auch (fingerlose) Handschuhe, um die Hände vor der starken Sonne zu schützen. Innerhalb eines Tages kann sich das aber alles schnell ändern. Es ist schon oft vorgekommen, dass ich mittags bei Sonnenschein am liebsten nur mein T-Shirt angehabt hätte und abends, wenn die Sonne weg war und der Wind stärker wurde Pulli und Jacke anhatte und trotzdem gefroren habe.

Besonders begeistert war und bin ich immer noch von den Märkten, die es in Patacamaya drei Mal die Woche gibt. Von Obst und Gemüse über second Hand Kleidung bis hin zu Kosmetik- und Haushaltsprodukten, kleinen Pflanzen, Reifen und Tieren findet man dort wirklich alles, was man braucht. An den anderen Tagen, oder auch wenn ich grade nicht auf dem Markt einkaufen gehen will, gehe ich in einen der vielen kleinen Läden (tiendas), die sich vor allem in der Nähe der Hauptstraße aneinanderreihen, aber auch an manchen Straßenecken etwas abseits zu finden sind. Ich finde es einfach viel schöner über den Markt zu schlendern oder in den kleinen Laden meines Vertrauens zu gehen, statt die Sachen in einem Supermarkt zu kaufen. Mein Gastvater hat mir einmal erzählt, dass es in Patacamaya sogar einen Supermarkt gibt, aber die meisten Menschen hier lieber auf den Märkten einkaufen. Ich war bis jetzt auch noch nicht in diesem Supermarkt.

Zwei weitere Dinge, die für mich ganz fest zu Patacamaya dazu gehören sind zum einen die unzähligen kleinen Lokale, in denen es hauptsächlich Hühnchen mit Reis und/oder Nudeln und Pommes gibt (sehr beliebtes Essen hier) und zum anderen die „Busstation“, an der die Busse nach La Paz und Oruro (die beiden nächst größeren Städte) abfahren. In Patacamaya gibt es nämlich keinen Busbahnhof oder Ähnliches sondern einen festen Ort an der Hauptstraße, an dem die Busse am Rand der Straße abfahren. Das besondere hierbei für mich am Anfang besondere war ist, dass es eher schwer ist, diese zu übersehen oder besser gesagt zu überhören, da die Fahrer laut die Ziele verkünden. Ich glaube ich werde für immer im Ohr haben, wie die Fahrer „A LA PAZ A LA PAZ A LA PAZ!!!“ rufen.

In Bezug auf das Essen habe ich bis jetzt besonders zwei Dinge für mich entdeckt. Zum einen Salteñas , kleine Teigtaschen mit einer saftigen Fleisch-Gemüse-Füllung, die einfach unglaublich lecker sind und Llajua. Llajua ist eine Soße, die hier sehr verbreitet ist und die man hier mit Salz und Öl in so gut wie jedem Lokal findet. Das Tolle ist, dass Llajua nicht einfach nur scharf ist, sondern dem Essen einen ganz besonderen Geschmack gibt. Außerdem macht jeder sein Llajua ein kleines bisschen anders, was ich total schön finde.

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Ein Obststand auf dem Markt in Patacamaya

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Ein Gemüsestand auf dem Markt in Patacamaya

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Die Kirche in der Nähe meines Zuhauses

Mein erster Monat

Als ich nach einer langen Fahrt in Patacamaya angekommen bin, wurde ich direkt von meiner Gastfamilie empfangen, bei der ich meinen ersten Monat gelebt habe. Zu meiner Familie gehören mein Gastvater Ruben, meine Gastmutter Claudia, meine Gastschwester Camila (17), ihr Kater und meine Gastoma, die ich erst ein paar Tage später kennengelernt habe. Ich hatte wirklich das größte Glück mit meiner Gastfamilie. Sie haben mich total lieb aufgenommen, mir alles gezeigt und erklärt und es geschafft, dass ich mich schon innerhalb der ersten paar Wochen richtig wohl und wie zu Hause gefühlt habe. Durch sie und meine Vorfreiwillige Ronja habe ich schnell die ersten neuen Menschen und auch Freunde kennengelernt. Gemeinsam waren wir das erste Mal in La Paz, haben den ein oder anderen Spieleabend mit Freunden gemacht, sind zusammen Essen gegangen und haben die Nachbarorte Sica Sica und Lahuachaca besucht.

Auch zwei Familientreffen sind direkt in meinen ersten Monat hier gefallen, bei denen ich mitgehen durfte und sehr herzlich von der Familie Willkommen geheißen wurde.

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Die Kirche Fernando Soria in Sica Sica aus dem 17. Jh

Neben dem Ankommen habe ich mich während meines ersten Monats viel mit meinem Sprachkurs beschäftigt. Fünfmal die Woche habe ich mit drei anderen Freiwilligen meiner Organisation einen Onlinesprachkurs besucht, in dem uns zwei wirklich tolle Lehrer die wichtigsten Dinge beigebracht haben. Auch außerhalb des Sprachkurses hieß es natürlich weiterlernen, denn auch wenn ich schon einiges verstehen konnte, ist mir das Sprechen leider immer noch schwergefallen. Aber auch hier hatte ich tolle Hilfe von Freunden und Familie, die mich immer wieder Vokabeln abgefragt haben, mich motiviert haben zu reden, auch wenn es mal nicht so gut geklappt hat und mir geholfen habe,  die richtigen Worte zu finden.  Trotz allem, oder besser gesagt: grade deshalb hat es mir doch sehr geholfen, dass mein Gastvater auch Englisch konnte, was in Bolivien tatsächlich nicht üblich ist. Die meisten Menschen, die ich bisher getroffen habe, konnten kein oder nur wenig Englisch, auch wenn es in der Schule unterrichtet wird, was vermutlich daran liegt, dass im Unterricht oft nur die Grundlagen vermittelt werden, wie mir von einigen Bekannten erklärt wurde.

Ende August gab es in der Gemeinde dann eine Abschieds- und Begrüßungsfeier für meine Vorfreiwillige Ronja und mich. In einem Gottesdienst wurden wir zunächst von unserem Bischof Monseñor Pascual Limach verabschieded bzw. begrüßt. Anschließend gab es noch ein Beisammensein bei Pizza, Kuchen und der ein oder anderen Rede. An diesem Abend habe ich auch mein eigenes Aguayo geschenkt bekommen, worüber ich mich sehr gefreut habe. Ein Aguayo ist ein buntes Tuch, das man hier in Patacamaya sehr oft sieht. Es wird von vielen Frauen zum Tragen von Einkäufen, aber auch als Tragetuch für Babys und Kleinkinder genutzt (Kinderwagen sieht man in meinem Ort nicht) und ist auch Teil der traditionellen Kleidung.

Ein paar Tage später gab es auch im Comedor CAPI (mein Projekt) eine Feier für uns beide, auf der die Kinder des Comedors verschiedene traditionelle bolivianische Tänze aus verschiedensten Regionen aufgeführt haben. Tanzen spielt hier in Bolivien generell eine wichtige Rolle. Bei den meisten Veranstaltungen, die ich bisher besucht habe, wurden Tänze vorgeführt oder gemeinsam getanzt. Auch in einigen Schulen hier in Patacamaya ist es üblich, dass es einmal im Jahr eine Veranstaltung gibt, bei der jeder Kurs einen anderen Tanz aufführt. Bis jetzt war ich schon auf drei Schulveranstaltungen, bei denen die Kurse ihre Tänze präsentiert haben und eine Jury die besten Gruppen ausgewählt hat, da auch einige der Kinder aus dem Comedor daran teilgenommen haben. Jede Region und Kultur hat ihre eigenen Tänze, wodurch eine für mich unglaubliche Vielfalt entsteht. Die Tänze erzählen oft eine Geschichte: über Lamahirten, die Arbeit in den Minen, eine Liebesgeschichte… und haben unterschiedliche Kleidung, an der ich die Tänze noch am einfachsten erkennen kann. Da ich ja ohnehin sehr gerne tanze, bin ich von der Vielfalt total begeistert und habe große Freude daran, immer wieder neue Tänze zu lernen. Bei einer Begrüßungsfeier im Comedor (dieses Mal aber nicht für mich) hatte ich auch schon die Möglichkeit, bei einer Gruppe mitzutanzen. Den Tanz habe ich zwar wirklich erst last minute gelernt, aber trotz Stress meinerseits hat es total Spaß gemacht.

Im Anschluss an unsere Feier sind wir mit den Köchinnen und Schwestern noch gemeinsam in das Café in Patacamaya gegangen, um den Tag gemeinsam abzuschließen.

Mit Hermana Maria Eva, Hermana Elvira und meiner Vorfreiwilligen Ronja auf unserer Abschieds- und Begrüßungsfeier der Gemeinde

Meine Begrüßung durch Hermana Clementina auf der Abschieds- und Begrüßungsfeier im Comedor

Hier war ich auf einer Schulveranstaltung, auf der jeder Kurs einen anderen Tanz aufgeführt hat. Auf diesem Bild sieht man den Tanz Suri Sikuri

Zwei weitere Highlights des Monats waren für mich mit meiner Gastoma Kaiserschmarrn und Apfelmus für meine Familie hier in Bolivien zu machen und an einem anderen Tag einen besonderen Markt zu besuchen, in dem alles in Miniaturgröße verkauft wird. Der Glaube dabei ist, dass man die Dinge, die man in diesem Jahr in Miniaturgröße kauft, im darauffolgenden Jahr in echter Größe erhält. Hierbei wird alles Mögliche verkauft: Häuser, Autos, Spielgeld, Essen, Babypuppen…

Ein Markt, auf dem alles in Miniaturgröße verkauft wird

Und dann hieß es auch schon Abschied nehmen. Nach etwas mehr als einem Monat in meiner Gastfamilie, bei der ich mich total wohl gefühlt habe und bei denen ich mich richtig eingelebt hatte, ging es für mich in meine langfristige Bleibe. Und auch, wenn wir noch im selben Ort wohnen, war ich ziemlich traurig, wegziehen zu müssen.

Seitdem wohne ich zusammen mit meiner Mitfreiwilligen Iveliz aus Cochabamba bei den drei Schwestern aus Patacamaya, die auch mit mir in meinem Projekt arbeiten. Wobei „bei ihnen wohnen“ nicht ganz richtig ist. Meine Wohnsituation ist etwas schwierig zu erklären. Ich habe ein Zimmer mit Bad und schönem Bergpanorama, welches in einer Art Gästehaus mit Zimmern für Priester und andere Leute, die in Patacamaya zu Besuch sind, ist. Dieses Gästehaus befindet sich auf einem Gelände mit einer Schule, einer Universität und dem Haus der Schwestern, welches direkt neben meinem Haus liegt. Da ich keine eigene Küche habe, koche und esse ich mit den Schwestern und darf auch die anderen Räumlichkeiten mitbenutzen. Die Schwestern sind wirklich nett. Jeden Morgen frühstücken wir gemeinsam, manchmal nehme ich an ihren Morgengebeten teil, und auch den ein oder anderen Spieleabend haben wir bereits gemacht.

Meine Mitfreiwillige Iveliz ist mittlerweile schon fast wie eine Schwester für mich geworden. Da wir zusammenwohnen und zusammen arbeiten, verbringen wir einfach unglaublich viel Zeit miteinander, und auch in unserer Freizeit unternehmen wir viel zusammen. Mit ihr kann ich auch über alles reden, und ich bin wirklich froh, dass wir uns so gut verstehen

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Das ist ein Teil des Geländes, auf dem ich Wohne. Das Foto ist aus Sicht der Schule gemacht, weshalb auch der Pausenhof zu sehen ist. Links sieht man das Gebäude in dem ich wohne (nicht das, was von den Bäumen verdeckt ist), dahinter liegt das Haus der Schwestern und weiter links befinden sich noch ein paar kleinere Gebäude so wie der Eingang

In meinem zweiten Monat in Bolivien begann für mich dann die Arbeit in meinem Projekt. Die darauffolgenden Wochen war ich viel damit beschäftigt mich um mein Visum zu kümmern, in meinem neuen Alltag anzukommen und neue Menschen und andere Teile Boliviens kennenzulernen.

Davon berichte ich im zweiten Teil meines Rundbriefes.

Ich hoffe ich konnte bis hierhin schon ein bisschen Interesse für meinen Freiwilligendienst wecken und einen kleinen Einblick in meine ersten Wochen in Bolivien geben.

 

Liebe Grüße aus Patacamaya

Katharina